kons-ulting – Blog : NEARSHORE Teil I. Definition und Standorte

Da immer wieder auffällig, wie unterschiedlich die Begriffe Nearshore und Offshore genutzt werden oder in Teilen nicht bekannt sind, starten wir in unserem Blog mit einer kurzen Definition und Abgrenzung des Themas.

Nearshore, Farshore, Onshore, Offshore?

Begrifflichkeiten, die uns sofort an das nicht standardisierte Vokabular in der Customer Service Branche erinnern lassen. Was meinen wir, wenn wir Nearshore sagen und werden wir damit verstanden? Und überhaupt, was hat dies mit Küste zu tun?

Wie so häufig bei Trends, kam auch dieser von denen, deren Grenzen mehrheitlich aus Küste bestehen. Klar also, dass die inländische Produktion als Onshore und die Produktion im Ausland als Offshore zu bezeichnen war. Offshoring wiederum unterteilt sich in Farshoring und Nearshoring. Korrekt also ist entweder im Inland oder im Ausland und, wenn im Ausland, dann im nahen oder fernen Ausland. Eine wirklich trennscharfe Differenzierung lässt sich dabei sicher nicht formulieren und hängt maßgeblich vom Herkunftsland des Betrachters, dem gewählten Produktionsstandort, sonstigen wirtschaftlichen Beziehungen und der miteinander verbindenden Infrastruktur ab.

Interessant auch, dass in den von Deutschen gewählten Nearshore-Ländern der Begriff Nearshore häufig nicht nur nicht verwendet wird, sondern in der Form nicht bekannt ist. Noch nicht – auch von Deutschland präferierte Nearshore-Länder im östlichen Europa suchen zunehmend den noch existierenden Kostenvorteil in weiter östlich gelegenen Nachbarländern.

Nearshore vs. Farshore für die deutsche Sprache

Eine Differenzierung für das Offshoring Deutschsprachigen Kundenservices scheint sinnvoll, wenn wir mit Nearshore die Dienstleistungserbringung im Europäischen Ausland bezeichnen, die sonstigen Optionen mit Farshore benennen. Farshore für den Deutschen Customer Service? Schon kurz nach der Jahrtausendwende gab es erste Versuche den Customer Service aus Südamerika zu erbringen. Argentinien mit 1,5 Millionen Deutschstämmigen war damals erste Wahl. Aber auch in Brasilien geht man von circa 1 Million Deutschsprechenden aus und selbst in Paraguay, Mexiko und Chile sind deutschsprechende Minderheiten anzutreffen.

Auch in Erinnerung sind die zahlreichen Versuche aus Südafrika Deutschsprachigen Service anzubieten, wobei hier es hier häufig ein Import der Deutschen Sprache war und viele Backbacker die Gelegenheit nutzten, die Auslandserfahrung mit einer Arbeit im Customer Service zu kombinieren. Nicht zu vergessen, die Kolonialherrschaft in dem damals als Deutsch-Südwestafrika bezeichneten Namibia. Wenn auch das Handeln der Deutschen in dieser Zeit mehr als verurteilenswert ist, so hat es nachhaltig Spuren hinterlassen.

In Namibia sprechen noch heute über 20.000 Namibianer Deutsch – in Teilen auf muttersprachlichem Niveau. Geprägt auch, durch die Zeit des Kalten Krieges, in der auf Schloss Bellin in Mecklenburg bis zum Mauerfall namibianische Kinder als Pioniere für die nicht stattgefundene Revolution in Namibia ausgebildet wurden, die dann später in ihr Heimatland zurückgekehrt sind.

Klar aber auch, dass heute mehrheitlich die Option im Nearshore genutzt wird.

Ein Modell, das sich zunehmender Beliebtheit erfreut ist die Beschäftigung von muttersprachlichen Aussiedlern auf dem spanischen Festland und auch Inseln. Aussiedler, die mit der Idee des sorgenfreien Lebens in ganzjähriger Wärme und mit geplanter Selbständigkeit heute zu Hunderten ihr Auskommen in Customer Service Centern finden.

Erwähnenswert ist sicherlich die besondere Situation in der Türkei. Ohne Sie namentlich zu nennen, erscheint nicht nur bei Anrufen bei manch großem Telekommunikationsanbieter der Eindruck aus der Türkei bedient zu werden. Die Rückfrage bei einer Agentin bestätigte dies und der Grund für die zahlreichen in der Türkei lebenden Deutschsprechenden liegt auf der Hand. Auch das gute Niveau der deutschen Sprache mag nicht verwundern, handelt es sich doch in Teilen um Muttersprachler die aus Deutschland, Österreich und der Schweiz in das Heimatland der Eltern und Großeltern zurückgekehrt sind.

Zu beobachten ist auch ein Trend, der Nearshore-Kapazitäten in Ländern, wie Bosnien, dem Kosovo oder Bosnien und Herzegowina suchen lässt. Auch hier ist es ein Stück Grausamkeit unser aller Geschichte, das Spuren hinterlassen hat. Wegen der sogenannten Jugoslawienkriege mit Beginn in 1991 waren Millionen von Menschen auf der Flucht. Die in Deutschland zwischen 1991 und 1995 aufgenommenen circa 350.000 Flüchtlinge sind mehrheitlich wieder in ihre Heimat zurückgekehrt (lt. Europäisches Forum für Migrationsstudien). Darunter Kinder und Jugendliche, die mit der deutschen Sprache aufgewachsen sind, in Deutschland Kindergarten und Schule besucht haben oder auch in Deutschland studiert haben.

Und selbstverständlich und noch immer am stärksten vertreten sind die Nearshore-Kapazitäten in all den Ländern, in denen aus historischen Gründen deutschsprachigen Minderheiten anzutreffen sind. Hierzu gehören nicht nur, aber auch Rumänien, Ungarn, die Slowakische Republik und Polen. In den letztgenannten kommt hinzu, dass die deutsche Sprache mit sehr hohem Anteil beliebte Fremdsprache an Schulen ist.

Bereits nach der Jahrtausendwende konnte ich selbst durchgängig positive Erfahrungen mit Standorten in Zgorzelec, Polen und Istanbul, Türkei sammeln. Die Umsetzung in Namibia scheiterte ausschließlich am Quality of Service der Netzwerkverbindungen jener Zeit. War dies damals noch die häufig belächelte Wegbereitung der Pioniere, so müssen all die Spötter heute zugeben, dass ohne die Kapazitäten im Nearshore der Customer Service in der deutschen Sprache kollabieren würde.

Fortsetzung folgt.

Der Autor.

Uwe Kons ist geschäftsführender Gesellschafter der kons-ulting GmbH, Deutschland. Als Gründer ist Uwe Kons verantwortlich für die strategische Ausrichtung und die Erweiterung des Beratungsgeschäftes. Er legt Wert darauf, in Beratungsprojekten eine aktive Rolle zu übernehmen, um so seine umfassende Erfahrung weiterzugeben. Uwe Kons ist Betriebswirt der Fachrichtung Wirtschaftsinformatik, zertifizierter wingwave® Coach und ausgebildet in den Methoden des NLP.

1998 übernahm er die Geschäftsführung der 1&1 ServiceLine Gesellschaft für Sprachkommunikation. Nach Umfirmierung zur twenty4help Knowledge Service AG war er zunächst als COO verantwortlich für IT, Operations, Personalentwicklung und Qualitätsmanagement. Als CEO übernahm er die strategische und operative Gesamtverantwortung und hat das ehemals deutsche Unternehmen zu einem europäisch agierenden Dienstleister mit mehr als 3500 Beschäftigten und 12 Standorten über Europa verteilt entwickelt.

In 2006 gründete Uwe Kons die kons-ulting GmbH, die sich auf Personalberatung, Strategieberatung, Betriebsoptimierung und Nearshore im Customer Service spezialisiert hat.

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